Ausflug „Von Tisch zu Tisch“

28. April 2018

Anlass des Club 96: Von Tisch zu Tisch – die kulinarische „Ver-Führung“ in Winterthur

Am 28.4.2018 war wieder mal ein Anlass mit PartnerIn angesagt: Altstadtführung mit Speis und Trank oder eben „Von Tisch zu Tisch“, wie es offiziell in der Broschüre von Winterthur Tourismus heisst.

Pünktlich trafen sich alle Angemeldeten an der Bar des Casinotheaters. Pünktlich? Nein, RS aus N hatte offenbar die Info von Fredi bezüglich Änderung des Treffpunktes im SPAM-Ordner versenkt …?

Kurz vor 17.00 h stiess Frau Susanna Engeler, unsere heutige Stadtführerin, zu uns und nach einem allgemeinen Prosit ging’s dann auch schon los.

Casino(theater) Winterthur

Kaum aus dem Casinotheater getreten, war schon der erste Halt. Frau Engeler zeigte hinauf über den Hintereingang des Casinotheaters auf eine dort thronende Statue und führte dazu aus, dass das Casino, wie es früher hiess, 1862 durch Heinrich Meyer im italienischen Renaissancestil erbaut wurde. Es diente damals als Gesellschaftshaus von Handelsherren, Gewerbetreibenden, Beamten und Künstlern. Später wurde der 1. Stock von Händlern genützt (hier fanden anno dazumal die ersten Baumwollbörsen der Schweiz statt) – der Schreibende erinnert sich an seine Kindheit als er mit seinem Vater am Sonntag an die Briefmarkenbörse im Casino ging …

Unterer Bogen

Nur ein paar Schritte weiter, in der Marktgasse vor dem PKZ erklärte uns die Führerin, dass an dieser Stelle seinerzeit der Untere Bogen stand. Er war das alte Westtor der Stadt Winterthur. Leider entschied die Gemeindeversammlung 1870, dieses zeitgeschichtlich wertvolle Gebäude zu entfernen, worauf der Stadtbaumeister, Karl Bareis, aus Protest sein Amt niederlegte und die Stadt verliess.

An dieser Stelle holte sie in der Stadtgeschichte Winterthurs etwas aus und erklärte uns, dass die eigentliche Wiege also der geschichtliche Ursprung der Stadt in Oberwinterthur liegt – für uns Oberianer war das schon lange klar … Dort entstand im 1. Jahrhundert n.Chr. mit Vitodurum eine römische Siedlung entlang der Strasse von Vindonissa (Windisch) nach Arbor Felix (Arbon). Diese Strasse hatte der heutigen Römerstrasse auch seinen Namen gegeben.

Kellertheater / altes Stadthaus

Der nächste Stopp war beim Eingang zum Kellertheater, neben dem Holzofenbeck. 1972 wurde im tiefen Keller des alten Stadthauses ein Theater (auch „Goldige Schluuch“ genannt) eröffnet. Wie sein Name sagt, liegt das Kellertheater unter dem Boden, was ihm einen speziellen Charme verleiht. Vier mächtige Eichenstützen tragen die Balken und trotzdem war es möglich, 120 Sitzplätze zu erstellen, die alle auf die originelle Eckbühne sehen können. Frau Engeler meinte, dass Sie uns später noch etwas zur anderen Seite des Durchganges erzählen werde.

Justitia Brunnen

Rund 50 Meter weiter machten wir einen Halt beim Justitia-Brunnen, vor dem ehemaligen Kienast (heute Siro) bzw. beim Restaurant Molino (ehemals Salmen/Mövenpick). Er stammt aus dem Jahre 1537 und stand ursprünglich weiter oben an der Kreuzung zwischen Markt- und Obergasse. Unsere Stadtführerin erläuterte uns zuerst die Geschichte der Brunnen aus Stein, welche im Mittelalter Zeichen einer vermögenden Stadt waren – Winterthur hatte viele davon – aber bis heute nur drei davon „überlebt“ haben. Ursprünglich trug Justitia, die griechische Göttin der Gerechtigkeit und des Rechtswesens, eine Augenbinde zum Zeichen, dass das Recht ohne Ansehen der Person gesprochen wird. Im Mittelalter, also zurzeit als dieser Brunnen erbaut wurde, wurde die Justitia aber mit offenen Augen dargestellt.

Die Brunnen dienten im Mittelalter auch dazu, Diebe und Wegelagerer anzuprangern, d.h. sie wurden jeweils für 1-2 Stunden an den Brunnen gebunden und jedermann/-frau konnte die „Sünder“ sehen – diese waren dann für Lebzeiten geächtet, fanden keine Arbeit mehr und mussten die Stadt verlassen.

Waaghaus

Etwas weiter oben rechts neben dem ehemaligen ABM (heute Depot) steht das Waaghaus, 1503 gebaut, das heute auch noch das Puppentheater beherbergt. Die grosse Halle im Erdgeschoss diente als Kaufhaus und Waaghalle, wo die in Winterthur gehandelten Waren gewogen und verzollt werden mussten. Als Beispiel erzählte sie uns, dass die Brote der Bäcker ein bestimmtes Gewicht haben mussten (z.B. ½ kg).

Wenn die Brote zu wenig wogen, wurden sie zerschnitten und an die Armen verteilt.

Club zur Geduld

Die Hausnummer 22 (die Nummerierung der Häuser wurde übrigens von Napoleon eingeführt, da er mit den Bezeichnungen nichts anfangen, geschweige denn sie aussprechen konnte) in der Marktgasse zeigt einen markanten Erker mit der Aufschrift „Zur Geduld“. Dort hat Anfang des 20. Jahrhunderts Oskar Reinhart einen Club nach englischem Vorbild eingerichtet. Beschränkte sich das Clubleben anfänglich auf eine exklusive Herrenrunde, hat es sich im Laufe der Zeit moderneren gesellschaftlichen Rahmenbedingungen angepasst und selbstverständlich sind heute auch Frauen als Clubmitglieder willkommen.

Rathaus

Kurz nachher verliessen wir die Marktgasse oder „de Schluuch“, wie sie liebevoll von den Winterthurern und auch von Frau Engeler genannt wird, Richtung Stadthausstrasse. Im Durchgang des Rathauses, wo der Grosse Gemeinderat tagt, erläuterte sie uns, dass hier im Innenhof, der nach französischem Vorbild erstellt wurde, im 13./14. Jahrhundert die erste Markthalle mit Bistro entstand. Heute noch werden dort allerlei Lebensmittel angeboten und selbst das Café/Restaurant heisst Bistro Rathaus.

Stadtpark

Nach dem Überqueren der Stadthausstrasse erlebten wir einen Vorplatz des Altstadtschulhauses mit vielen Pétanque-Spielern und einen vollbesetzten Stadtpark mit flanierenden und faulenzenden Sonnenanbeter-Innen. Zum Glück verlor unsere Stadtführerin nicht noch viele Worte, da der Apéro nahte.

Restaurant Strauss

Endlich erreichten wir unser erstes Zwischenziel, wo uns Martina Zürcher, stv. Geschäftsführerin (Enkelin von Siggi Zürcher, ehemaliger Libero des „Drü“ vom FC Oberi der 70iger Jahre und Tochter des heutigen Dorfpolizisten in Oberi) herzlich empfing und uns das Ziel im 1. Stock bekannt gab.

Dort erwarteten uns Tapas, begleitet von Weisswein und Bier, von welchen aber nur 1 Glas (Wein) oder 1 Flasche (Bier) im Preis inbegriffen war, wie uns Frau Engeler im Klartext formulierte … Natürlich hielten wir uns strikt an die Vorgabe …

Stadtkirche

Mit etwas Wehmut mussten wir nach ca. ½ Std das Wirtshaus schon wieder verlassen und wir machten uns durch die Metzgasse, welche im Mittelalter „dank“ einer Fehlkonstruktion fast eingestürzt wäre, auf in Richtung Stadtkirche. Auf dem Weg dorthin durch die Marktgasse, die wir ja ausgiebig ausgekundschaftet hatten, stoppten wir noch kurz beim Haus Möbel Pfister, das ehemalige Rothaus (Konsum, Coop), wo ein geduckter Schneider über dem ehemaligen Eingang darauf hinweist, dass dort im späten Mittelalter reger Textilhandel betrieben wurde.

In der Stadtkirche durften wir Platz nehmen und den Ausführungen von Frau Engeler lauschen. Beeindruckend war vor allem die Innenausmalung, welche in den 20iger Jahren des vorigen Jahrhunderts von einem Paul Zehnder angefertigt wurde. Beeindruckend deshalb, weil sehr kräftige Farben verwendet wurden und die Figuren grüne Haare und Bärte haben … Dazu erzählte sie uns viel über die Geschichte von Winterthur, insbesondere von der Kunst der Winterthurer, welche trotz Verboten durch die vielen Herren immer wieder Nischenprodukte (er)fanden. So z.B. farbige Kachelöfen oder Präzisionsuhrwerke.

Steinberggasse

Im Haus des Albani befand sich ab 1776 eine erste Giesshütte. Später richtete dort ihr Besitzer Salomon Sulzer anfangs des 19. Jahrhunderts eine Drechslerei ein. Ab 1830 zügelte sein Sohn die Giesshütte vors Holdertor. Zusammen mit seinen Söhnen Johann und Salomon gründeten sie 1834 an der Zürcherstrasse das Unternehmen Gebr. Sulzer AG.

Neben dem Albani an der Steinberggasse 18 liegt das Geburtshaus von Jonas Furrer, geboren am 3.3.1805, welcher erster Bundespräsident und Mitbegründer der modernen Schweiz war.

Hotel Restaurant Krone

Langsam knurrten unsere Mägen und männiglich war froh, dass wir wieder „einkehren“ konnten. Im Wirtshaus zur Krone, wie es offiziell heisst und gemäss Homepage das älteste Gasthaus von Winterthur ist, wurde uns ein gemischter Blattsalat serviert und dazu Mineral oder Wein/Bier, aber nur 1 Glas gäll

Heute gehört es zur Sorell Gruppe und ist im letzten Jahr aufwändig renoviert worden.

Natürlich wären wir gerne noch etwas „ghöcklet“, aber unsere Stadtführerin hielt sich streng an den mit ihr vereinbarten Zeitplan. So standen wir schneller als uns lieb war wieder vor dem Restaurant und lauschten ihren Ausführungen.

Oberes / unteres Spital

Beim Hinterausgang des Restaurants hielt sie dann ihr Versprechen, das sie uns beim alten Stadthaus (wo das obere Spital stand) abgeben hatte und erzählte uns etwas über das untere Spital, vor welchem wir standen. Dieses war ursprünglich ein Frauenkloster und wurde Anfang des 19. Jahrhunderts in ein Spital umgebaut. Während das obere Spital den gutgestellten Winterthurern vorbehalten war, mussten die minderbemittelten Bürger mit dem unteren Spital, dem sogenannten „Pfrundhaus“ Vorlieb nehmen

Bahnhofplatz

Nach den detaillierten Ausführungen bei den „Spitälern“ machten wir nur noch kurze Halte bis wir schliesslich beim Bahnhofplatz landeten. Dort mussten wir dann schätzen, wieviele Löcher das neue Dach (Pilzdach) über den Bushaltestellen am Bahnhof habe. Einige Insider wussten, dass die Anzahl über 100‘000 sein musste und Frau Engeler verriet uns dann, dass es exakt 180‘000 Löcher in der Aluminium- verkleidung des Daches gebe!

Restaurant National

Bevor wir das letzte Mal „zu Tisch gebeten“ wurden, erfuhren wir von unserer Stadtführerin, dass das Restaurant 1875 die Geburtsstätte der damaligen „Winterthur Unfall“ war, was dem Schreibenden natürlich nicht unbekannt war …

Obwohl uns der Hunger ins Gesicht geschrieben stand, horchten wir bis zur letzten Silbe den Ausführungen von Frau Engeler, welche schliesslich mit einem grossen Applaus verdankt wurde. Auch sie bedankte sich bei uns für ein interessiertes Publikum!!

Zum Essen erwartete uns ein Riesenschnitzel – an anderen Orten als Elefantenohr bezeichnet – mit Pommes Frites und je nach Gusto Mineral, Wein oder … Wir liessen den Nachmittag gemütlich ausklingen und alle TeilnehmerInnen waren sich einig, dass dieser Anlass zu 100% gelungen war – besten Dank an Fredi (Präsi) und René (Organisator), dass ihr uns das möglich gemacht habt!

Fast pünktlich um 22.30 h war der Anlass wie angesagt zu Ende und wir zahlten alle noch eine bescheidene Pauschale, bevor wir uns auf dem Heimweg machten … es soll noch solche gegeben haben, welche noch einen „kleinen Umweg“ in die Smokerlounge des Strauss gemacht haben …

Werni Christen